Im Juni 2023 wurde eine „Petition zur Erhaltung des Michaelerplatzes“
veröffentlicht, seit damals hat sich eine heftige Debatte entwickelt. DOCOMOMO Austria äußert sich mit dieser Stellungnahme zum geplanten Vorhaben.
Stellungnahme Begrünung Michaelerplatz
Die vorgeschlagene Umgestaltung des Michaelerplatzes, um ihn durch Wasserflächen und Begrünung „klimafit“ zu machen, gefährdet nicht nur eines der eindrücklichsten städtebaulichen Ensembles im UNESCO-Welterbe „historisches Stadtzentrum Wien“ und eine Platzanlage von internationaler Geltung. Es befinden sich auch zwei herausragende Denkmale der Wiener Moderne und Postmoderne durch diesen Eingriff in akuter Gefahr: Adolf Loos´„Haus am Michaelerplatz“ (1909–1912) und die Platzgestaltung Hans Holleins (1991/92).
Adolf Loos war einer der zentralen Persönlichkeiten der architektonischen Moderne, sein
Wohn- und Geschäftshaus Goldman & Salatsch ist Teil der Wiener Debattenkultur und wurde im Jahr 1947 als eines der ersten Bauwerke der Wiener Moderne unter Denkmalschutz gestellt. Mit einem seiner Hauptwerke hat er für die Neue Hofburg nicht nur ein Vis-à-vis geschaffen, das bereits zur Bauzeit heftige Diskussionen auslöst, seine damals als nüchtern empfundene Fassade verkörpert gerade im Wechselspiel mit dem historischen Platzensemble den Ausdruck einer neuen Zeit. Die uneingeschränkten visuellen Beziehungen der Bauten zueinander sind für dessen Wirkung – und damit für die architekturgeschichtliche Bedeutung von Loos´ Bauwerk – wesentlich. Hans Hollein, österreichischer Pritzker-Preis-Träger und wesentlicher Impulsgeber der Postmoderne, hat mit seiner Inszenierung der archäologischen Ausgrabungen die Stratigraphie des Michaelerplatzes freigelegt und so die Bedeutung des Ortes weit in die römische Stadtgründung zurückverfolgt – eine Intervention, die den heutigen räumlichen Kontext anreichert und dem Platz geschichtliche „Tiefe“ verleiht. Es soll darauf hingewiesen werden, dass Holleins Entwurf den gesamten Platz einschließt: Seine Reaktion auf den historischen Ort belegt gestalterisch, dass das „geschichtete Ganze“ des Bestands als Ensemble aufzufassen ist.
Im Jahr 2022 wurde Holleins Projekt unter Denkmalschutz gestellt. Im Rahmen der laufenden Debatte hat das Bundesdenkmalamt eine Stellungnahme verfasst, in der es heißt: „Der für das Pflanzen von drei Bäumen im denkmalgeschützten Bereich erforderliche Eingriff wurde vom Bundesdenkmalamt gemäß §5 Denkmalschutzgesetz bewilligt.“ Diese Maßnahme würde jedoch unter massivem Eingriff in das Konzept von Holleins architektonischer Semantik erfolgen, soll die Ausgrabungsstätte doch
„begrünt“ und von Trögen umstanden werden. Weiters äußert das BDA, dass der Schutz von Sichtachsen „rechtlich eine Angelegenheit des Stadtbildes [ist] und […] nicht in die behördliche Verantwortung des Bundesdenkmalamtes“ fällt. Darin kommt nur ein bekanntes Defizit des Österreichischen Denkmalgesetzes (DMSG) zum Ausdruck, das keinen expliziten Schutz von Platz-Flächen und räumlichen Beziehungen zwischen Gebäuden kennt. Nur wenige Plätze stehen als solche per Bescheid unter Schutz. Im konkreten Fall ist es besonders eigentümlich, dass die Gärten des Hofburgkomplexes (Volksgarten, Burggarten, Heldenplatz, Maria-Theresien-Platz) sehr wohl unter Schutz stehen, nicht aber die innerstädtische Portalsituation mit dem Michaelerplatz.
Dem Verständnis von DOCOMOMO Austria nach – darin internationalen Standards folgend – sind Denkmale integral und authentisch zu schützen und zu erhalten; Bauten, die ihre Gestalt und Wirkung aus dem Kontext erlangen, sind mit diesem unter Schutz zu stellen. Hierzu gehören auch Platzanlagen mit ihrer Topografie und Oberflächengestaltung. Durch diese beiden so unterschiedlichen Projekte im Herzen Wiens – am Michaelerplatz – wird eindrücklich vor Augen geführt, wie die historische Stadtbaukunst, der sich auch Loos verpflichtet fühlte, Baukörper, Platzflächen, Sichtbeziehungen und räumliches Erleben in die Form städtischer Raume gießt. Zwar war die Morphologie dieses Platzes historisch von Veränderungen gekennzeichnet – spätestens ab dem 19. Jahrhundert unterliegen diese aber einem gemeinsamen Grundverständnis für das zuvor dargestellte architektonische Zusammenwirken. Es ist auch dieser Umstand, der das historische Wien zu einer lebenswerten und schützenswerten Stadt macht.
Außer Frage steht, dass die ökologische Krise auch beim Umgang mit städtischen Räumen – vor allem bei der Neugestaltung von Stadträumen – Berücksichtigung finden muss. Auch viele historische Stadtflächen von geringer Bedeutung eignen sich – nach Prüfung –, um mit Mitteln der Stadtbaukunst und Landschaftsarchitektur eine ökologische Aufwertung zu erreichen, dadurch letztlich den Aufenthalt der Menschen zu verbessern. Daraus darf aber kein Eingriff in historische Kulturgüter abgeleitet werden, der diese verfremdet. Sie müssen weiterhin in ihrer Ganzheit und Vielschichtigkeit die gebaute Geschichte unserer Kultur dokumentieren, uns erfreuen und Wege in die Zukunft anleiten.
DOCOMOMO Austria